12
Jul
2015
Codewort

Codewort – Safeword – Slowword

Toxyd

Ein Codewort oder Safeword ist ein Sicherheitswort für den passiven Spielpartner – eine Art „Notbremse“ für den Notfall. Konkret bedeutet dies, dass der dominante Akteur mit passiven Gegenüber ein gut merkbares Wort als Codewort / Safeword vereinbart – im deutschsprachigen Raum wird hierfür gerne das Wort „Mayday“ genutzt. Ich kenne aber auch Paare, die ebenso Begriffe wie „Himbeereis“, „Wackelpudding“ oder „Goldbärchen“ dafür nutzen.

Sollte der passive Spielpartner zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb einer Session, einer Situation oder bei einer bestimmten Praktik das Gefühl haben, dass es zu weit geht, dass Schmerzen oder auch die psychische Belastbarkeit nicht mehr innerhalb des Erträglichen liegen oder eine Notsituation eintritt wie z.B. Kreislaufschwäche oder Übelkeit, dann ist sie oder er dazu angehalten, dieses vorher vereinbarte Wort auszusprechen. Bei der Aussprache des Codewortes ist entweder die Session oder die aktuelle Aktion sofort durch den dominanten Akteur zu beenden.

Es gibt auch noch die abgeschwächte Form eines Codewortes – nämlich das Slowword. Das Slowword bedeutet in dem Fall, dass nicht gleich die ganze Session oder Aktion abgebrochen wird, sondern einfach abgeschwächt wird, z.B. durch weniger Schmerz oder weniger psychischen Druck. Einfach übersetzt: „etwas langsamer bitte“.

Dieses Vorgehen oder Agieren mit Codeworten, einem Safeword oder einem Slowword möchte ich gern ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen und dazu stelle ich ganz provokant mal ein paar Fragen:

Wer führt die Session, entscheidet über Ausprägung und Ende und wer hat bei einem solchen Vorgehen mit Codewörtern die Verantwortung? Der führende, also dominante Part oder der passive, also empfangende Part? Was ist, wenn der Sklave oder die Sklavin geknebelt ist? Was ist, wenn das passive Gegenüber vor Lust völlig berauscht zu sein scheint: kann er oder sie dann das Codewort noch aussprechen? Schon jetzt wird deutlich, dass Codewörter, Safewords und Slowwords nicht wirklich sinnvoll bis völlig sinnlos sind.

Ich hatte gedacht, es wird nachher vielleicht nochmal wieder schön und deshalb habe ich das einfach ausgehalten…

Und gern ergänze ich meine persönliche Haltung um ein paar weitere Gründe.

  1. Der erste und wichtigste Punkt ist für mich, dass jeder Mensch, der (in welcher Form auch immer) einen anderen Menschen führt, auch hübsch die Verantwortung übernehmen und nicht an den passiven Spielpartner delegieren sollte. Oder anders gesagt: wenn ich wilde und schöne Dinge mit dir machen möchte, dann muss ich auch in der Lage sein, Situationen richtig einzuschätzen und die Verantwortung für mein Handeln und für dich übernehmen zu können.
  2. Ein Mensch, der sich in einem Zustand von äußerster Anspannung, äußerstem Schmerz, äußerster Angst und/oder gesundheitlichen Schwierigkeiten befindet – und nur für solche Fälle wurde ein Codewort ja überhaupt erst generiert – erinnert sich nur sehr schwer bis gar nicht an irgendein vorher vereinbartes Wort. Im Körper fließt in solchen Zuständen häufig ein ziemlich bunter Cocktail aus Botenstoffen wie Adrenalin, Dopamin und Serotonin, was sich nicht unbedingt positiv auf die Fähigkeit, klar und rational zu Denken auswirkt. D.h. dieses Wort ist u.U. einfach weg – verschollen. Dein Spielpartner denkt also krampfhaft und verzweifelt darüber nach, wie denn dieses verfluchte Wort nochmal hieß und in der Zwischenzeit hast du munter jede Grenze überschritten.
  3. Viele devote Menschen sind auch in ihrer Persönlichkeitsstruktur oft sehr hingebend und wollen sich komplett auf eine vertrauensvolle Führung verlassen. Das bedeutet, sie möchten für ihre Herrin oder ihren Herrn gerne alles aushalten – in Leid ebenso wie in Genuss. Und nicht selten würde sich ein devoter Mensch eher die Zunge abbeißen, anstatt dich mit einem Codewort „zu brüskieren“. Außerdem höre ich nicht selten den Satz: „Ich hatte gedacht, es wird nachher vielleicht nochmal wieder schön und deshalb habe ich das einfach ausgehalten.“ Es ist aber wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss, etwas auszuhalten, was die persönlichen Grenzen überschreitet – nur, um nicht umgehend die ganze Session beenden zu wollen. Aber was hilft schon Weisheit, wenn es um eine persönliche Struktur, Fantasien, Lust und Emotionen geht?

Wenn ich also als Top um diese Gründe weiß, muss ich wohl zugestehen, dass ein Codewort oder Safeword nicht unbedingt eine zuverlässige Hilfe ist. Und vielmehr noch: die Verwendung eines Codewortes kann sogar eine scheinbare Sicherheit vorgaukeln und die eigene Wahrnehmungsfähigkeit herabsetzen nach dem Motto: „Ich habe zwar grade irgendwie das unbestimmte Gefühl, dass ich die Grenzen meines Spielpartners überschreite aber da ja kein Codewort fällt, muss ich mir ja auch keine Gedanken machen.“ Und das ist nun wirklich das Blödeste, was passieren kann.

Und deshalb mal ganz unter uns:

Warum zum Teufel sollte ich überhaupt das Theater eines Codewortes wie „Himbeereis“, „Mayday“ oder ähnlich sinnentleerte Szenarien installieren, wenn mein Gegenüber mich zu jedem Zeitpunkt unserer Zusammenseins b i t t e n kann?

Eine Bitte um Nachsicht, Schonung, Zuwendung oder Gnade kann ich doch viel bewusster wahrnehmen und zudem habe ich, als dominanter und führender Part, die Entscheidungsfreiheit über meine eigene Reaktion darauf. Und da ich prinzipiell mindestens von gegenseitiger Sympathie, Wertschätzung, Verantwortungsbewusstsein, Einvernehmlichkeit und Respekt ausgehe, wenn sich Menschen gemeinsam in der BDSM-Welt bewegen, liegt meine Reaktion auf eine aufrichtige Bitte meines Bottoms auf der Hand. Eine persönliche Ansprache involviert mich zudem sehr persönlich und zwingt mein Gegenüber nicht dazu, ein sinnfreies Wort ausstoßen müssen, um damit wiederum mich zu nötigen, dass ich wie ein Lemming den Moment unseres Zusammenseins komplett über die Klippe werfe.

Und wenn du dir zu irgendeinem Zeitpunkt der Session nicht so ganz sicher bist, wie es deinem Spielpartner geht, dann kannst du ja einfach fragen, oder? Eine Frage wie „Wie geht es Dir?“ oder „Ist alles in Ordnung?“ oder „Bist Du bereit für mehr?“ macht deiner Dominanz und Führung ganz und gar keinen Abbruch, sondern vermittelt vielmehr deine prinzipielle Wertschätzung für dein Gegenüber.

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