28
Dez
2015

Safe, Sane & Consensual – SSC

SSC bedeutet safe, sane, consensual und das heißt übersetzt sicher, vernünftig und einvernehmlich. Diese sogenannte SSC-Regel gilt in vielen ebenso sogenannten SM-Szenen als oberstes Gebot  und Grundlage für jedes Spiel und menschliche Agieren im BDSM-Kontext. Mit einfachen Worten sollte also jedes Spiel oder jede Session (eigentlich jeder zwischenmenschliche Kontakt) sicher, vernünftig und einvernehmlich stattfinden.

Bevor ich nun weitermache und meine Meinung dazu niederschreibe, möchte ich in aller Deutlichkeit klarstellen, dass diese Regel vermutlich zum Grundsatz erhoben wurde, um zu verdeutlichen, dass es sich bei BDSMlern nicht um eine Horde gewaltbereiter und potentiell kriminelle Straftäter handelt, die ohne Rücksicht, Verstand und gegen den Willen ihrer „Opfer“ agieren. Der SSC-Grundsatz ist also vom Prinzip her ein sicherlich gut gemeinter und gut gedachter Ansatz, der Transparenz und auch ein generell respektvolles Menschenbild jenseits rechtswidriger Handlungen vermitteln soll.

Nehme ich jedoch als erfahrene BDSMlerin, für die ein generell respekt- und würdevolles Menschenbild und der Ausschluss rechtswidriger Handlungen eine absolute Selbstverständlichkeit sind, diese Regel mal ein bisschen genauer unter die Lupe, dann bleibt -für mich persönlich- nicht mehr viel davon übrig.

Ich baue das Ganze jetzt mal für euch auseinander, denn GRUNDREGELN sollten Menschen in ihrem Verhalten ja unterstützen und helfen und damit auch generell anwendbar sein.

 

Safe

Wer bitteschön kann denn im zwischenmenschlichen Miteinander schon hundertprozentige Sicherheit garantieren? Selbst Computer und Roboter haben Fehlfunktionen oder Störungen. Als Mensch, der lustvoll mit einem anderen Menschen agiert, können (und werden) immer wieder mal kleinere oder auch mal größere Fehler passieren. Und das liegt vollkommen in der Natur des Menschen. Ich kann beispielsweise eine Gefühlsregung meines Spielpartners versehentlich übersehen oder falsch interpretieren,  mir kann auch mal der Ton verrutschen und bei der Durchführung von Praktiken kann ebenso ungewollt mal etwas schief gehen. Ich persönlich könnte also auch mit über 20 Jahren BDSM-Erfahrung  nicht mit gutem Gewissen hundertprozentige Sicherheit garantieren. Weil ich ein Mensch bin und weil ich nicht unfehlbar bin. Und weil ich es für verlogen halte, irgendetwas anderes zu behaupten.

Und das führt direkt zur nächsten Frage: Möchte ich denn überhaupt zu jedem Zeitpunkt hundertprozentige Sicherheit garantieren? Möchte ich, dass mein Spielpartner sich zu jedem Moment unseres Zusammenseins absolut sicher fühlt? Möchte ich auf das leise und doch so reizvolle Spiel mit kribbelnder Unsicherheit oder auch mal einer Form von süßer Furcht verzichten? Ich meine damit keine pure Angst oder tatsächliche Furcht um Leib, Seele oder Leben, sondern ich meine das erotische Spiel mit der Ungewissheit. Auch hier lautet meine ganz persönliche Antwort: nein, das möchte ich nicht. Das Fazit lautet also, dass ich hundertprozentige Sicherheit weder garantieren kann, noch möchte.

Was ich jedoch möchte, ist:

  • gut informiert sein und mich selbst sicher fühlen können
  • Fehlerquellen oder Unsicherheiten durch Wissen minimieren
  • meinen Spielpartner nicht fahrlässig in irgendeiner Weise verletzen

Und jeder Mensch, der diesen Blog verfolgt, um sich zu informieren und zu lernen, möchte dies auch. Ich würde diese große „Safe-Regel“ deshalb viel lieber durch den Begriff Verantwortung ersetzen. Nämlich die Verantwortung für mein Gegenüber, mit dem ich spiele und auch die Verantwortung für mein Handeln.

 

Sane

In diesem Punkt stimme ich absolut überein. Jede Aktion, jedes Spiel, jedes Miteinander im SM-Kontext sollte vernünftig und aus gesundem Menschenverstand heraus agiert sein.

Aber was bitte schön bedeutet denn in diesem Zusammenhang schon vernünftig? Ist es denn vernünftig, einen Menschen für Lustzwecke – egal, ob jetzt die eigenen oder die des anderen – zu quälen, zu demütigen, zu erniedrigen oder wer-weiß-was anzustellen? Und wessen Vernunft ist denn eigentlich der Maßstab? Bin ich mit über 20 Jahren Erfahrung zwangsläufig vernünftiger, als ein Anfänger oder eine Anfängerin in der BDSM-Welt? Und was bedeutet schon gesunder Menschenverstand? Menschen mit einem ungesunden Menschenverstand oder generell wenig Verstand, erreiche ich sowieso mit keiner Regel zwischenmenschlichen Zusammenseins.

Die Frage sollte also nicht sein, ob es vernünftig ist, was ich da gerade tue, sondern ob ich es verantworten kann und zwar vor mir selbst, vor meinem Gegenüber und natürlich vor den rechtlichen Instanzen des Gesetzgebers in unserer Gesellschaft.

Natürlich gibt es auch hier wieder unzählige Graubereiche, wo eine konkrete Wertung schwer fällt und deshalb fällt mir auch nicht ein einziges Wort ein, das diese große „Sane-Regel“ ersetzen könnte. Mir würden zwar viele Beschreibungen einfallen aber diese sind zum Großteil bereits in unseren Grundgesetzen verankert.

 

Consensual

Hier möchte ich kurz an die wörtliche Übersetzung anschließen, die so viel wie zustimmend, einwilligend, einvernehmlich und gleichsinnig bedeutet.

Wenn ich es nun ganz genau nehme, würde das bedeuten, mich mit meinem Bottom vor jeder Aktion kurz hinzusetzen und abzusprechen, ob er oder sie denn auch genau mit dem, was ich grade vor habe, wirklich einverstanden ist. Und das gilt vor jeder einzelnen Aktion, also auch bei BDSM-Spielen im D/S-Kontext beispielsweise bei erzieherischem Handeln oder Sanktionen.

Nun ist es aber so, dass devote Menschen sich auch tatsächlich nach Führung sehnen und in ihrer Rolle als Bottom eben nicht um Erlaubnis gefragt werden möchten. Vielmehr träumen viele devote Menschen davon, unter einer konsequenten und gerechten Führung über sich hinaus wachsen und sich hingeben zu können.  Das Gefühl des Ausgeliefert-Seins oder einer Form der Hilf- und Wehrlosigkeit dem dominanten Partner gegenüber, wird dabei nicht selten als extrem luststeigernd empfunden. Und ich, als dominanter Part, möchte gerne auch genau dieses Gefühl spürbar machen können.

Natürlich möchte ich, dass sich mein Bottom zu jeder Sekunde ganz und gar freiwillig hingibt und damit meine ich nicht nur konkret abgesprochene Praktiken, sondern vertrauensvolle Hingabe in meine verantwortungsbewussten Hände. Und ich wünsche mir, dass mein Bottom an meinen Aufgaben und Forderungen wächst. Dieses Wachstum würde ich jedoch mit einer allzu konkreten Absprache vor jeder Aktion abschwächen oder sogar verhindern, denn jeder Mensch hat Barrieren aus Unsicherheiten und auch Angst. Diese könnte ich auf einer vorher rational abgesprochenen Basis nie überwinden, jedoch getragen von Lust, getragen von Vertrauen auf meine Fähigkeiten, getragen von ganz viel Respekt und Emotion sowie getragen von gefühlter Hingabe geht das.

Nicht einmal in zwischenmenschliche Beziehungen ohne BDSM-Bezug ist jedes gegenseitige Verhalten jederzeit zustimmend, einwilligend, einvernehmlich oder gleichsinnig.

Und es ist verlogen zu behaupten, dass Statusspiele, bei denen es ja auch um Gehorsam, die Überwindung von Grenzen und einen klaren Machtaustausch geht, zu jeder Zeit im Gleichklang der Emotionen stattfinden. Denn manche Forderungen sind nun mal schwierig, manche Wünsche verletzend, manche Befehle unangenehm oder auch manche Situationen verunsichernd. Nicht einmal in zwischenmenschliche Beziehungen ohne BDSM-Bezug ist jedes gegenseitige Verhalten jederzeit zustimmend, einwilligend, einvernehmlich oder gleichsinnig. Hier wird also eine Art künstliches Alibi erschaffen, weil man eben nicht genau weiß, wie man in Worte fassen soll, dass es zwar irgendwie um Macht oder auch mal Zwang geht und damit trotzdem nicht gegen jedes Grundrecht des Menschen verstoßen wird, weil es ja eben irgendwie „consensual“ ist.

Ich würde gerne diese große „Consensual-Regel“ durch eine generelle Freiwilligkeit ersetzen, die auch beinhaltet, gemeinsam zuweilen ganz behutsam und bewusst über Grenzen zu gehen, auch ohne dies vorher explizit abgesprochen zu haben. Das würde dann konkret “CNC“ bedeuten, was die Abkürzung von “consensual non-consent” ist. Damit wiederum beschreibt man die einvernehmliche Nichteinvernehmlichkeit, die auch gern mit dem Begriff Metakonsens belegt wird.

Ich hoffe sehr, lieber Leser, dass dein Kopf bei all diesen kleinen Bollwerken aus Regeln und Nichtregeln noch nicht komplett verwirrt ist?

In meinen Augen klingt diese goldene „SSC-Regel“ ja ganz hübsch, aber wenn man sie auseinander nimmt, bleibt ein eher fragwürdiger Versuch eines Knigge-Ratgebers mit Legalisierungszwecken davon übrig. Bei weitem lieber und sicher auch menschengerechter wären mir deshalb Schlagworte wie:

  • ein gesundes, stabiles und respektvolles Menschenbild,
  • Verantwortungsbewusstsein für mich und mein Gegenüber
  • nötiges BDSM-Fachwissen und Praxiskunde
  • eine generelle Freiwilligkeit, die als Basis für einen Kontakt und dessen Ausgestaltung steht
  • der Ausschluss strafbarer Handlungen

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